Neuerscheinung: MURR von Josephine Marks

Mit MURR veröffentlichen wir am 15.11. nicht nur das Comic-Debut der Cartoonistin Josephine Marks, sondern auch eine ungewöhnliche Mischung aus Western, Faust’scher Tragödie und Liebesgeschichte. Das wirft natürlich ein paar Fragen auf, welche wir der Künstlerin im Folgenden gestellt haben.

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Die Cartoons, die man von dir kennt, sind zwar hintergründig, aber meistens ja sehr fröhlich. In MURR gehst du an sehr viel tiefere, dunklere Themen heran – Tod, Trauer, Verlust – damit einhergehend aber auch mit Liebe und Empathie. Wie kam es dazu, dass du dich mit diesen Themen beschäftigt hast?

Josephine: Die Cartoons sind ja nur ein Ventil von vielen. Die tiefgängigeren Themen verarbeite ich lieber in meinen Comics oder den Illustrationen. Da geht es eigentlich immer etwas melancholischer zu. Wobei ich immer versuche, diese beiden Gefühls-Pole zu verbinden – also das Tragische immer mit Humor abzufedern bzw. dem Humor mit Tragik Tiefe zu verleihen.

Ich habe überhaupt den Verdacht, dass die meisten Humoristen im Herzen eher melancholisch sind oder zumindest Menschen, die emotional etwas filigraner gestrickt sind. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Und das Script zu „Murr“ habe ich in einer Zeit geschrieben, in der ich mich viel mit Themen wie Tod und Trauer beschäftigt habe. Es macht mir einfach wahnsinnig Angst, dass geliebte Menschen irgendwann einmal einfach weg sind. Ich wollte herausfinden, wie man mit Verlust umgehen kann und wie das Loslassen für mich funktionieren könnte. Nicht nur auf den Tod bezogen, sondern auch im Kleinen, im Alltag. Diese ganzen Veränderungen im Leben, mit denen man einfach klarkommen muss: Job weg, Partner weg, Fahrrad geklaut, Lieblingsserie wird abgesetzt, die Katze wohnt jetzt lieber beim Nachbarn. Zumutungen, auf die man nur wenig Einfluss hat und an denen man irgendwann zerbricht, wenn man keinen gesunden Umgang mit dem Loslassen findet.

Wie kamst du auf die Idee, einen Western als »Transportmittel« für diese Themen zu nutzen? So rein vom Klischee her wird der Western ja eher weniger als ein »weibliches« Genre (falls es sowas gibt) gesehen. Mir fallen spontan nur Ida Lupino und Lina Wertmüller ein, von denen ich Western gesehen habe.

Josephine: Die Wahl fiel auf den Western, genau wegen dieser alten Klischees. Wobei der Western als Genre ja zum Glück gar nicht mehr auf so stereotype Erzählungen reduziert ist.

Aber für meine Geschichte brauchte ich diese ganzen üblen alten Western-Rollenklischees nochmal:

Frauen sind nur Randfiguren und es gibt einen Protagonisten, der – zumindest am Anfang – so eindimensional und unangenehm ist, wie möglich: Einen Draufgänger und Sexisten, dem alles egal ist und der in seinem ganzen Leben noch nie Reue oder Angst vor irgendwas verspürt hat.

Und dem wollte ich dann das Fürchten lehren …

War Murr eine Figur, die du schon in Skizzenbüchern hattest? Oder anders gefragt: gab es erst die Figur und dann die Geschichte oder andersrum?

Josephine: Murr als Figur habe ich gemeinsam mit der Storyidee entwickelt – bei einer mehrtägigen Wanderpause auf einem verregneten Campingplatz in Norwegen. Tatsächlich gibt es noch einen alternativen Entwurf: da war Murr muskulöser mit breiteren Schultern und entspracht etwas mehr dem klassischen Schönheitsideal. Diese Variante habe ich aber schnell verworfen, denn sie passte nicht so gut zum Charakter. Denn natürlich ist Murr ist sein Aussehen völlig egal. Außerdem zeichne ich lieber Charaktere, die optisch etwas aus dem Rahmen fallen.

Direkt nach diesem Urlaub habe ich dann das Script fertig geschrieben und bin damit zum Comiczeichnerseminar nach Erlangen gefahren, wo ich das Storyboard für das Buch gezeichnet habe.

Murrs endgültiges Aussehen und auch der Tod und Sam sind dann ganz allmählich in dieser einen Seminarwoche während der Arbeit am Storyboard entstanden.

Ganz schön schnell, ein ganzes Storyboard in einer Woche!

Josephine: Ja, das war schon ein bisschen manisch mit dem Storyboard in einer Woche, geb ich zu … (lacht)

Du bist ja jetzt hauptsächlich für deine Cartoons bekannt, und Cartoons funktionieren schon sehr anders als Comics. Man kennt bis jetzt einige kürzere Comics von dir, aber wie war für dich der Umstieg in die »Langstrecke«?

Josephine: Der Wechsel in die Langform war einerseits sehr schön, weil ich eine komplexere Geschichte erzählen kann, andererseits aber natürlich auch viel anstrengender und die Arbeit geschieht auch eher im Verborgenen. Die Cartoons und Kurzcomics sind ja eher so kleine Happen, die ich in erster Linie für meine Social-Media-Kanäle oder als Fingerübung produziere, um wirklich regelmäßig zu zeichnen und mein Gehirn auf Ideenfindung zu trainieren.

Die Arbeit an einer langen Comicgeschichte ist da eine ganz andere Hausnummer: Man kann nicht so viel online zeigen und alle denken: wo ist sie hin – zeichnet sie gar nicht mehr? Aber eigentlich ist man ja die ganze Zeit am Arbeiten.

Und dann hatte ich auch noch die großartige Idee, jeden Arbeitsschritt erst von Anfang bis Ende abzuarbeiten bevor ich zum nächsten übergehe. Also erst die kompletten 100 Seiten Storyboard zu zeichnen, dann die kompletten Vorskizzen, dann das Inking von vorn bis hinten und am Schluss alles in einem Ritt kolorieren. Da tuscht man dann zum Beispiel täglich ein paar Stunden lang – für drei, vier Monate am Stück. Sehr ermüdend. Das würde ich definitiv so nie wieder machen und ich vermute stark, es hat außer mir auch noch niemand einen derart bescheuerten Workflow eineinhalb Jahre lang durchgezogen …

Und was ich auch gemerkt habe: In der Langform ist man über mehrere Jahre in einer Geschichte drin, die Figuren wachsen einem viel mehr ans Herz, einfach weil die Arbeit am Comic so lange dauert. Das ist einerseits großartig, andererseits sollte man besser jede seiner Figuren, Geschichten und Settings wirklich lieben, denn man wird viel, sehr viel Zeit mit ihnen verbringen.

Alles in allem finde ich die Arbeit an langen Comicgeschichten mittlerweile aber fast schöner, als das Produzieren kürzerer Strips oder Cartoons – denn man kann einfach komplett abtauchen dabei, in jeder Hinsicht.

Wie bist du zu Cartoons und Comics als »deine« Form des Geschichtenerzählens gekommen? Gibt es Comics und Comicautor_innen, die dich beeinflußt haben? Oder einfach nur ganz besondere Favorites sind?

Josephine: Mit den Cartoons habe ich damals während eines Praktikums in der Moritzbastei angefangen. Das ist ein großes Kulturzentrum in Leipzig, in dem damals jeden Mittwoch Disco war. Dafür gab es sehr einfache, kopierte Plakate. Irgendwann habe ich dann Cartoons für diese Plakate gezeichnet, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Also jede Woche einen Cartoon. Dabei bin ich geblieben, auch als es die Plakate gar nicht mehr gab. Das war 2006 – seitdem habe ich bis Anfang 2021 wirklich jede Woche einen Cartoon gezeichnet, mit nur ganz wenigen Ausnahmen.

Die Comicstrips, zum Beispiel die Reihe „Fink über…“, kamen dann so ganz allmählich dazu, weil ich dann irgendwann einfach auch Geschichten erzählen wollte. Und als ich dann 2017 erstmals zum Comicseminar nach Erlangen gefahren bin mit der Idee für MURR im Gepäck, ist der Knoten irgendwie geplatzt – seitdem weiß ich, dass ich Comicbücher machen will.

Was die Comic-Vorbilder angeht, so war sicherlich Flix ein ganz wichtiger Autor für mich. Zum einen, weil ich wegen ihm damals am Comiczeichnerseminar überhaupt erst teilgenommen hatte (er war 2017 Dozent zusammen mit der wunderbaren Birgit Weyhe), zum anderen, weil ich seine Art, Geschichten zu erzählen unheimlich mag. Da steckt so viel Herz und Tiefe drin. Und die Comics von Birgit Weyhe liebe ich wegen ihrer poetischen Bildsprache und Erzählweise. Toll finde ich auch Ralf König wegen seiner unfassbar lustigen On-Point-Knaller-Dialoge und Niklas Mahler für eigentlich alles, was er macht.

Rein zeichnerisch ist für mich der polnische Comiczeichner und Spieledesigner Mateusz Skutnik definitiv ein ganz wichtiger Einfluss. Dessen Tuschezeichnungen und Aquarelle haben mich überhaupt erst auf diesen etwas dreckigen, locken Stil gebracht.

Und dann gibt es natürlich ganz viele Vorbilder, die gar nicht aus dem Comicbereich stammen und die ich aus den unterschiedlichsten Gründen verehre: Joss Whedon für seine Figuren z.B. in Buffy und Firefly, Christopher Nolan für sein Storytelling, Loriot für seinen Humor und Timing, Tom Hardy für diese unnachahmliche Art, wortkarge, grummelige Charaktere zu verkörpern undundoderoder …

Vielen Dank für das Interview, Josephine!